Wissenschaftliche Analyse der Hänge- und Paragleiterunfälle in Österreich: Gastbeitrag von Ossi Staud, Österreichischer Aeroclub OEAC. Tabellen, Charts und Aufbereitung von Christian Klingler.
Der Originalartikel ist 2002 auf alpinesicherheit.com erschienen und wurde 2022 aktualisiert.
Inhalt
Unfallentwicklung 1993 bis 2001
Unfallursachen Hängegleiter & Paragleiter
Unfallarten
Wetterverhältnisse an den 81 Unfalltagen
Unfälle nach Flugphasen
Unfälle nach Alter
Unfälle nach Nationalität
Störungsmeldung
Fazit und Zusammenfassung
Quellen und Dank
Hängegleiter- und Paragleiterunfälle in Österreich
Zeitliche Entwicklung der Hängegleiter- und Paragleiterunfälle in Österreich 1993 bis 2001
Jahr | 1993 | 1994 | 1995 | 1996 | 1997 | 1998 | 1999 | 2000 | 2001 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Unfallzahlen Hängegleiter | 19 | 30 | 33 | 27 | 23 | 24 | 25 | 31 | 19 |
Unfallzahlen Paragleiter | 190 | 172 | 133 | 115 | 141 | 134 | 111 | 110 | 125 |
Insgesamt stiegen 2001 die Unfälle bei den Gleitschirmpiloten gegenüber dem Vorjahr wieder an, die Hängegleiter konnten die Unfallzahlen senken. In der österreichischen Sportluftfahrt (ohne Motorflug) stiegen die Unfälle seit 1999 von 185 auf 203 Unfälle an. Dramatisch stieg die Zahl der Toten an. Waren es im Jahr 2000 6 Tote, mussten wir 2001 16 Tote beklagen, davon allein beim Gleitschirmfliegen 9 Tote.
Auffällig war, dass sich ein großer Teil der wetterbedingten Unfälle bei Föhn oder föhnigen Verhältnissen ereigneten. Die Tandemunfälle stiegen von 4 Unfällen 1998 auf 9 Unfälle an. Dabei verletzten sich 6 Passagiere schwer. Erfasst wurden die der Austro Control gemeldeten Unfälle. Da bei schweren Unfällen meist die Flugrettung angefordert wird (Inanspruchnahme der Bergekostenversicherung) bzw. die Polizei den Unfall aufnimmt, dürften die meisten schweren Unfälle erfasst sein. Bei leichten Verletzungen oder Störungen ohne Personenschaden unterbleibt sehr oft die Unfallmeldung.
[Update 2022]
Zum Vergleich die Flugunfallstatistik des DHV mit den Paragleiterunfällen in Deutschland von 1998 bis 2020: die Zahl der Unfallmeldungen hat sich im Zeitraum fast verdoppelt, die Zahl der Schwerverletzten stieg um etwa 70%, die Zahl der tödlichen Unfälle blieb hingegen in etwa gleich.
Alle Flugunfälle 2001 ohne Motorflug
Flugunfallstatistik 2001 | Tödliche Unfälle | Schwer verletzt | Leicht verletzt | Nicht verletzt | Unfälle gesamt | Scheine | Unfälle / Scheine [%] |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Motorsegler | 2 | 0 | 0 | 18 | 20 | unbekannt | unbekannt |
Segelflug | 4 | 2 | 2 | 18 | 26 | 4213 | 0,62 % |
Fallschirm | 0 | 2 | 4 | 9 | 10 | ||
Ballon | 0 | 0 | 0 | 3 | 3 | ||
Hängegleiter | 1 | 14 | 4 | 0 | 19 | 1425 | 1,33 % |
Paragleiter | 9 | 89 | 7 | 12 | 125 | 8617 | 1,45 % |
Gesamt | 16 | 107 | 17 | 51 | 203 |
Passagiere (“Pax”) sind 2001 bei Hänge- und Paragleitern nicht zu Tode gekommen, es hat insgesamt 7 Schwerverletzte gegeben.
Flugunfallstatistik 2001 Pax | Pax tot | Pax schwer verletzt | Pax leicht verletzt | Pax nicht verletzt | Pax gesamt |
---|---|---|---|---|---|
Motorsegler | 1 | 2 | 0 | 11 | 12 |
Segelflug | 1 | 0 | 0 | 1 | 2 |
Fallschirm | 0 | 3 | 1 | 0 | 4 |
Ballon | 0 | 0 | 0 | 7 | 2 |
Hängegleiter | 0 | 1 | 0 | 0 | 1 |
Paragleiter | 0 | 6 | 1 | 2 | 9 |
Gesamt | 2 | 12 | 2 | 21 | 30 |
PAX ist eine Hilfsmaßeinheit für die Anzahl von Passagieren […]
In der Luftfahrt wird auch bei reinen Privatflügen streng zwischen Besatzung bzw. Piloten und Passagieren unterschieden: Jeder Mitflieger, der nicht Teil der Besatzung ist, ist „Passagier“ oder gemäß ICAO-Code „PAX“.
Quelle: Wikipedia
Anzahl von Pilot:innen und Starts
Die absoluten Unfallzahlen muss man natürlich in Verbindung mit der Pilot:innenanzahl sowie der Startanzahl betrachten. In Österreich dürfte es ca. 900 Hängegleiter und 4800 Paragleiter geben. Diese Zahl ergibt sich aus der Anzahl der abgeschlossenen Haftpflichtversicherungen, sowie aus Vereinsmeldungen. Im Schnitt macht ein:e Pilot:in 30 Starts im Jahr. Das ergibt im Jahr ungefähr 150.000 Starts von Österreichern. Gastflieger aus anderen Ländern machen in Österreich ca. 250.000 Starts. Das ergibt in Summe etwa 400.000 Starts pro Jahr in Österreich.
Verletzungsgrad der Verunglückten
Verletzungsgrad bei Hängegleiterunfällen in Österreich
2001 starb 1 Pilot:in beim Hängegleiten in Österreich, es gab 4 Leicht- und 14 Schwerverletzte.
Verletzungsgrad Unfälle Hängegleiten 2001 in AT | Fälle | Pax | [%] |
---|---|---|---|
nicht verletzt | 0 | 0 | 0 % |
leicht verletzt | 4 | 0 | 21 % |
mittel verletzt | 0 | 0 | 0 % |
schwer verletzt | 14 | 1 | 74 % |
tot | 1 | 0 | 5 % |
Gesamt | 19 | 1 | 100 % |
Verletzungsgrad bei Paragleiterunfällen in Österreich
2001 starben 9 Pilot:innen beim Paragleiten in Österreich, es gab 7 Leicht-, 9 Mittel- und 80 Schwerverletzte.
Verletzungsgrad Unfälle Paragleiten 2001 in AT | Fälle | Pax | [%] |
---|---|---|---|
nicht verletzt | 12 | 0 | 10 % |
leicht verletzt | 7 | 28 | 6 % |
mittel verletzt | 9 | 3 | 8 % |
schwer verletzt | 80 | 6 | 68 % |
tot | 9 | 0 | 8 % |
Gesamt | 117 | 37 | 100 % |
2001 starben in Summe 10 Pilot:innen bei der Ausübung ihrer Sportarten Hängegleiten oder Paragleiten. Auch die Anzahl der Schwerverletzten stieg gegenüber dem Vorjahr an.
Unfallursachen Hängegleiter & Paragleiter
Hängegleiter
- Startfehler
Fehler beim Start sind eine häufige Unfallursache. Durch falschen Anstellwinkel oder Rückenwind in der Startphase kommt es oft zu einem Strömungsabriss und anschließenden Crash.
- Kollision
2 mal kam es zu einer Kollision mit Hindernissen durch zu knappes Fliegen, eine Kollision gab es in einem viel beflogenen Gebiet mit einem Gleitschirm.
- Landung
Bei den Landefehlern geht meist eine schlechte Landeeinteilung voraus. 1 Starrflügler verunglückte im Landeanflug.
Paragleiter
- Vorflugkontrolle
1 Toter hatte die Beingurte nicht geschlossen und rutschte aus dem Gurtzeug. Es gab auch Unfälle durch ungewolltes Öffnen des Rettungsschirmes.
- Einklapper und Wetter
Das Einklappen von Gleitschirmen ist nach wie vor der Auslöser vieler schwerer Unfälle. Die Ursachen, die zum Einklappen führen, sind häufig beim Wetter zu suchen. Ein Einklapper muss aber nicht zwangsläufig zu einem Unfall führen. Mit einer guten Beherrschung des Schirmes könnten viele Situationen schon im Ansatz entschärft werden
- Acrofliegen
5 Unfälle ereigneten sich bei missglücktem Kunstflug.
- Landefehler
Unfälle im Landeanflug sowie bei der Landung sind häufig auf eine zu spät beginnende Landeeinteilung zurückzuführen.
Unfallarten Hänge- & Paragleiten 2001 in AT
Unfälle Hängegleiten 2001 in AT
Bei den Unfallarten bei den Hängegleitern dominieren Landefehler mit 37 %, danach folgen Startfehler mit 26 % und Kollisionen mit Hindernissen sowie Wetterfaktoren (jeweils 11 %).
Unfallarten Hängegleiter | Fälle | [%] |
---|---|---|
Check | 1 | 5 % |
Startfehler | 5 | 26 % |
Wetter | 2 | 11 % |
Geräteversagen | 0 | 0 % |
Einklapper | 0 | 0 % |
Tuck | 1 | 5 % |
Landefehler | 7 | 37 % |
Kollision Hindernis | 2 | 11 % |
Kollision LFZ | 0 | 0% |
Flugfehler | 1 | 5 % |
unbekannt | 0 | 0 % |
Acro | 0 | 0 % |
Gesamt | 19 | 100 % |
Unfälle Paragleiten 2001 in AT
Bei den Paragleiterunfällen dominiert der Faktor Wetter mit 27 %, danach folgen Startfehler mit 26 % und Landefehler mit 15 %, an vierter Stelle Kollisionen mit Luftfahrzeugen (10 %) und Einklapper (9 %).
Unfallarten Paragleiter | Fälle | [%] |
---|---|---|
Check | 1 | 1 % |
Startfehler | 21 % | |
Wetter | 27 % | |
Geräteversagen | 2 % | |
Einklapper | 9 % | |
Tuck | 0 | 0 % |
Landefehler | 15 % | |
Kollision Hindernis | 5 % | |
Kollision LFZ | 10 % | |
Flugfehler | 4 % | |
unbekannt | 2 % | |
Acro | 4 % | |
Gesamt | 125 | 100 % |
Wetterverhältnisse an den 81 Unfalltagen 2001
Unfälle Hänge- & Paragleiten 2001 in AT
Wetterverhältnisse an den 81 Unfalltagen
Bei 57 von 144 Unfällen (= 70 %) herrschten kritische Wetterbedingungen. Auffällig waren die vermehrten Unfälle an Föhntagen. Aber auch bei Kamm- und Leeturbulenz wird ohne Rücksicht auf Verluste geflogen.
Wetterverhältnisse | Fälle | [%] |
---|---|---|
Turbulent | 25 | 31 % |
Föhn | 18 | 22 % |
Gewitter | 9 | 11 % |
Starker Talwind | 3 | 4 % |
Thermisch | 2 | 2 % |
Ruhig | 24 | 30 % |
Unfälle nach Flugphasen
Unfälle beim Hänge- und Paragleiten 2001 in Österreich
Auswertung nach Flugphasen
Risikophasen beim Hängegleiten sind – im Chart gut erkennbar – Landeanflug und Abflug mit zusammen 58 % der Unfälle, danach folgen Landung und Start.
Im Chart gut sichtbar: Die Risikophasen beim Paragleiten sind Abflug, Gleitflug und Landeanflug mit zusammen fast zwei Drittel der Unfälle.
Flugphase | Fälle Hängegleiter | [%] | Fälle Paragleiter | [%] |
---|---|---|---|---|
Start | 2 | 11 % | 5 | 4 % |
Abflug | 5 | 26 % | 37 | 30 % |
Thermik | 1 | 5 % | 13 | 10 % |
Soaring | 0 | 0 % | 11 | 9 % |
Gleitflug | 1 | 5 % | 22 | 18 % |
Extremflug | 1 | 5 % | 5 | 4 % |
Landeanflug | 6 | 32 % | 18 | 14 % |
Landung | 3 | 16 % | 8 | 6 % |
Rettungsschirm | 0 | 0 % | 6 | 5 % |
Gesamt | 19 | 100 % | 125 | 100 % |
Unfälle nach Alter
Unfälle beim Hänge- und Paragleiten 2001 in Österreich
Auswertung nach Alter
Das Alter dürfte den Zahlen nach für die Unfallhäufigkeit keine Rolle spielen.
Alter | Fälle | [%] |
---|---|---|
bis 20 | 7 | 5 % |
21 – 30 | 29 | 20 % |
31 – 40 | 42 | 29 % |
41 – 50 | 37 | 26 % |
51 – 60 | 17 | 12 % |
über 61 | 6 | 4 % |
unbekannt | 6 | 4 % |
Unfälle nach Nationalität
Unfälle Hänge- und Paragleiten 2001 in Österreich
Auswertung nach nationaler Herkunft der Pilot:innen
Der überwiegende Anteil der Hänge- und Paragleiterunfälle in Österreich (86 %) betrifft österreichische und deutsche Pilot:innen.
Nation | Fälle | [%] |
---|---|---|
AT | 72 | 47% |
DE | 60 | 39% |
CH | 2 | 1% |
NL | 2 | 1% |
CZ | 1 | 1% |
IT | 1 | 1% |
unbekannt | 16 | 10% |
Störungsmeldung für Hängegleiter- und Paragleiterunfälle in Österreich
[Update] Seit mehreren Jahren ist eine Störungsmeldung per Onlineformular für Flugunfälle auf der Website der Austro Control vorgesehen, welches alternativ auch einen Upload eines pdf-Formulars erlaubt.
>> Freiwillige/Einfache Meldung UAS/HG/PG
Fazit und Zusammenfassung: Hänge- und Paragleiterunfälle in Österreich
1. Allgemeines
Im Jahr 2001 gab es ein drastisches Ansteigen der Paragleiterunfälle in Österreich mit Todesfolge. Die Zunahme von 4 auf 9 tote Gleitschirmflieger gibt zu denken. Auch lässt sich die Unfallzunahme von 110 auf 125 Unfälle nicht nur mit mehr Fliegern erklären. Ich bemerke in meinem fliegerischen Umfeld eine immer größere Risikobereitschaft. Kritische Wetterlagen wie Föhn, Kamm- und Leeturbulenzen oder starker Wind gibt es immer nur in anderen Fluggebieten, meinen manche. Kommt es dann im eigenen Gebiet zu einem Unfall, so wird es als “Pech” oder “Schicksal” bezeichnet. Wetterdaten wie z.B. “23.03.2001, Turbulenz in Kammnähe, 2 Einklapper jeweils kurz nach dem Start” oder “29.04.2001, Wind Süd-Südwest 40-80km/h, Frontklapper führt zu Absturz” sprechen für sich.
2. Möglichkeiten zur Unfallverringerung
2.1 Ausbildung
Schon in der Ausbildung müssen der Schüler:innen lernen, auch einmal auf einen Flug zu verzichten. Wenn in der Schulung, nur dass die Höhenflüge durchgebracht werden, bei schlechten Wetterbedingungen Schulstarts durchgeführt werden, fördert das kaum die Gefahreneinschätzung bei dem/der Schüler:in. Auch das sichere Starten sollte intensiv vermittelt werden.
2.2 Fortbildung, Sicherheitstraining
Nach einer gewissen Flugerfahrung sollte ein:e Pilot:in Fortbildungsseminare oder Sicherheitstrainings besuchen. Bei solchen Veranstaltungen kann der/die Pilot:in lernen, wie man Klapper vermeidet oder die Störung wieder beseitigt.
2.3 Unfallforschung
Um Unfälle bei Hänge-und Paragleitern zu analysieren ist es unbedingt notwendig, sobald wie möglich mit dem/der verunglückten Piloten/Pilotin oder Zeugen Kontakt aufzunehmen, um genaue Unfalldaten zu bekommen (einheitlicher Unfallerfassungsbogen DHV/ÖAC). Dafür sollten wir von der Austro Control so schnell als möglich die Daten des Verunglückten erhalten. Außerdem würde ich Pilot:innen und Flugschulen dringend ersuchen, uns mit beiliegendem Erfassungsblatt Unfälle und Störungen mitzuteilen. Alle Daten werden vertraulich behandelt und können notfalls auch anonym sein.
2.4 Aufklärung
Der ÖAC Sektion Hänge- und Paragleiten, sowie Flugschulen und Vereine, sollten ihre Erfahrungen veröffentlichen. Speziell Lufttüchtigkeitsanweisungen, Änderungen im Luftrecht, bei Lufträumen, in der Wetterberatung, müssen umgehend allen Piloten zugänglich gemacht werden (Internet, Homepage, Fachzeitungen, Vereinskuriere).
Quellenhinweise und Dank
Um diese Analyse der Hänge- und Paragleiterunfälle in Österreich zu erstellen, möchte ich mich bei allen bedanken, die mir Daten und Auskünfte zur Verfügung stellten, im Besonderen bei
- Austro Control, Vinzenz Mittl, Unfalldaten
- Austro Control Wetterdienst Innsbruck, Wetterdaten
- DHV Technik Herr Jursa, Aufbau der gemeinsamen Datenbank
- Flugschulleiter Bruno Girstmaier, Flash News
sowie allen Piloten, die bei der Aufklärung von Unfällen mitgeholfen haben.
Literatur Paragleiterunfälle in Österreich
Simon Woyke, Mathias Ströhle, Peter Paal, Hans Ebner
Flugunfälle im alpinen Gelände Österreichs 2005 bis 2015
erschienen in bergundsteigen #100, Herbst 2017
Paragleiten bleibt gefährlich
OTS-Aussendung Institut Sicher Leben, Pressestelle
Statistik Austria
Zivilluftfahrtstatistiken ab 2018
Unfall Jahresstatistik des DHV
aktuellste Statistik: Unfallanalyse Gleitschirm 2019
Deutscher Hängegleiterverband
BMK, Sicherheitsuntersuchungsstelle
Flugunfallstatistik der Allgemeinen Luftfahrt 1998-2004