Werner Senn geht zum einen der rechtlichen Frage nach, auf welchen gesetzlichen Grundlagen die Pistenrettung eingerichtet ist, was ihre Aufgaben sind und untersucht zum anderen die Frage, ob und in welchem Umfang die Pistenretter bei Fehlern haftbar gemacht werden können.
Diese Publikation ist Teil des “Handbuchs für Pistenretter”, das vom Bergrettungsdienst Österreich herausgegeben wird.
Pistenrettung und Recht
Allgemeine und besondere Hilfeleistungspflichten
Einleitend zu den rechtlichen Belangen des organisierten Pistenrettungsdienstes soll kurz auf die allgemeinen Hilfeleistungspflichten eingegangen werden, wie sie im österreichischen Strafgesetzbuch geregelt sind und jeden Pistenbenützer betreffen können, sei es als Ersthelfer oder Verursacher eines Unfalls. Diese Verpflichtungen zur Hilfeleistung treffen also jedermann, der in einem zeitlichen und räumlichen Nahbereich beispielsweise mit einem Skiunfall konfrontiert wird. Die Hilfe muss einerseits erforderlich sein und andererseits auch zumutbar sein.
Ist man gar Verursacher oder Mitverursacher eines Unfalls, gibt es noch besondere Hilfeleistungspflichten. Diese treffen im Besonderen jene Pistenbenützer, die sich nach einem Unfall sprichwörtlich aus dem Staub machen, also „Fahrerflucht“ begehen. Das „Imstichlassen eines Verletzten“ wird dabei unter eine noch strengere Strafdrohung gestellt.
Ergänzend dazu sind die FIS-Regeln 9 (Hilfeleistung) und 10 (Ausweispflicht) zu nennen, die das Verhalten bei Unfällen und entsprechende Verhaltensnormen regeln. Sie sind zwar keine Rechtsnormen, die bei einem Fehlverhalten juristisch bindend wären, müssen jedoch als sportspezifische Verdeutlichung dieser allgemeinen Hilfeleistungspflicht gesehen werden.
Grundsätzlich ist also festzuhalten, dass nicht nur die Pistenretter eine Verpflichtung zur Hilfeleistung haben, sondern auch andere Pistenbenützer unter den erwähnten Voraussetzungen.
Zur rechtlichen Regelung der Pistenrettung
Die Pistenrettung ist in Österreich nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Dies wurde auch bei einer Prüfung der Flugrettung im Jahre 2012 durch den Rechnungshof bemängelt. Der Rechnungshof anerkannte aber damals schon die Bemühungen der Seilbahnunternehmen, dass diese auch ohne rechtliche Regelung großteils für eine qualitativ hochwertige Pistenrettung gesorgt haben.
Die Einrichtung des Pistenrettungsdienstes wird jedoch als vertragliche Nebenpflicht aus dem Beförderungsvertrag angesehen und aus den Verkehrspflichten des Pistenerhalters abgeleitet. Der Pistenerhalter kann dabei selbst einen Pistenrettungsdienst einrichten oder eine andere Organisation (Bergrettung, Rotes Kreuz oder andere Sanitätsorganisation) damit beauftragen.
Das Sanitäter-Gesetz normiert diesbezüglich im § 3 Abs 4, dass Berg-, Wasser-, Höhlen- und Pistenrettung bzw die Feuerwehr aus dem Geltungsbereich ausgenommen sind und daher nicht die genormten Ausbildungsrichtlinien, insbesondere auch in Erste Hilfe, anzuwenden sind. Ungeachtet dessen sollte aber speziell die Pistenrettung über eine sehr gute Ausbildung in diesem Bereich verfügen, um den zeitgemäßen Anforderungen einer medizinischen Erstversorgung gerecht zu werden.
Das Seilbahngesetz wiederum sieht vor, dass während des Betriebes und in jeder Station einer Seilbahnanlage zumindest ein in Erste-Hilfe-Leistung ausgebildeter Bediensteter anwesend ist.
Das primäre Aufgabengebiet der Pistenrettung
Dem Pistenrettungsdienst kommen nach einer Unfallmeldung nachstehende grundlegende Aufgabenbereiche zu:
- Geeignete Absicherung der Unfallstelle
- Bergung des Verletzten und die gebotenen Erste-Hilfe-Maßnahmen
- Ev. Kommunikation mit einer Leitstelle und Anforderung eines Notarzthubschraubers, dessen Personal aufgrund der Schwere der Verletzung die weitere fachmedizinische Versorgung übernimmt
- Abtransport des Verletzten per Akja, Skidoo, Pistenraupe, Seilbahn etc. und eine fachgerechte Übergabe an den Rettungsdienst, sofern nicht ohnehin schon die Flugrettung aktiviert wurde.
Die Feststellung der Identität von Unfallbeteiligten ist zwar sehr nützlich und insgesamt auch hilfreich, sie gehört aber nicht zu den rechtlichen Aufgabenstellungen der Pistenrettung. Vor allem bei Kollisionsunfällen ist dies ein Aufgabengebiet der Alpinpolizei, die letztlich auch über entsprechende Befugnisse verfügt. Dies wurde auch in einem erfolgten Rechtsstreit abschließend so gesehen, die Aufgabe der Pistenrettung bestehe in der Erstversorgung verletzter Wintersportler und habe für deren Transport in die Ordination eines Arztes bzw. die Übernahme durch anderweitige Rettungsdienste Sorge zu tragen. Es sei nicht Aufgabe des Pistenrettungsdienstes, die Namen und Daten der anwesenden Personen zu erfassen oder den Unfallhergang zu ermitteln.
Besondere rechtliche Befugnisse für jedermann und natürlich auch für den Pistenretter
Ungeachtet der vorhergehenden Ausführungen, soll jedoch auf eine besondere rechtliche Befugnis aufmerksam gemacht werden, die für jedermann und damit auch den Pistenretter gilt. Speziell nach Kollisionsunfällen kommt es immer wieder vor, dass sich weitere und unverletzte Unfallbeteiligte bewusst oder unbewusst von der Unfallstelle entfernen und im allgemeinen Sprachgebrauch „Fahrerflucht begehen“.
Wenngleich es nicht Aufgabe des Pistenrettungsdienstes ist, die Namen und Daten der anwesenden Personen zu erfassen oder den Unfallhergang zu ermitteln, so kann sich doch eine Situation ergeben, in der ein notwendiges Handeln des Pistenretters gefordert und rechtlich zulässig ist.
Beim Kollisionsunfall steht nämlich immer eine fahrlässige Körperverletzung im Raum. Wenn also beispielweise die Versorgung des Verletzten abgeschlossen ist, dieser unter Umständen bereits mit dem Hubschrauber abtransportiert wurde und sich dann herausstellt, dass sich der unverletzte Zweitbeteiligte offensichtlich und sprichwörtlich aus dem Staub machen möchte, ohne seine Identität preiszugeben, gibt es die rechtliche Möglichkeit der Anhaltung.
§ 80 Abs 2 der StPO (Strafprozessordnung) sieht nämlich vor:
Wer auf Grund bestimmter Tatsachen annehmen kann, dass eine Person eine strafbare Handlung ausführe, unmittelbar zuvor ausgeführt habe oder dass wegen der Begehung einer strafbaren Handlung nach ihr gefahndet werde, ist berechtigt, diese Person auf verhältnismäßige Weise anzuhalten, jedoch zur unverzüglichen Anzeige an das nächst erreichbare Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes verpflichtet.
§80 Abs 2 StPO
Dieses „private Festnahmerecht“ erlaubt somit eine Anhaltung, auch durch den Pistenretter. Die Ausübung dieses Rechts könnte unter Umständen auch darin bestehen, dass man der Person bis zum Eintreffen der Polizei einen Ski vorsorglich entzieht und sie dadurch an der Weiterfahrt („Fahrflucht“) hindert.
Selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Annahme möglicherweise unberechtigt war, schützt dieser Rechtfertigungsgrund vor einer Verurteilung wegen Freiheitsentziehung.
Umfang des Pistenrettungsdienstes
Grundsätzlich muss man zwischen einem zeitlichen und räumlichen Umfang unterscheiden. Zeitlich ist der Rahmen durch die Betriebszeiten inklusive der Kontrollfahrt nach Pistenschluss begrenzt. Räumlich umfasst der Dienst den organisierten Skiraum, also Skipisten, Skirouten, Sonderflächen, Seilbahn- und Liftanlagen, sowie Ein- und Ausstiegsbereiche.
Ein Rettungsdienst muss nur während der Skisaison, nicht jedoch während des Sommerbetriebes gewährleistet werden. Wird jedoch mit dem Sommerbetrieb auch gleichzeitig eine MTB-Downhill-Anlage betrieben, wo es immer wieder zu schweren Verletzungen kommt, wird man die rettungsdienstliche Versorgung auch dort geeignet sicherstellen müssen.
Im Falle eines Nacht- bzw. Flutlichtbetriebes wird man auch für diese Zeiten eine Pistenrettung zur Verfügung stellen, nicht jedoch, wenn am Abend nur eine Abfahrt für Skitourengeher (ohne Liftbetrieb) ermöglicht wird.
Haftung bei Fehlleistungen des Pistenrettungsdienstes
Oftmals leisten potenzielle Ersthelfer an Unfallorten keine Erste Hilfe, da sie rechtliche Konsequenzen für möglicherweise fehlerhafte Hilfeleistungen befürchten. Auch bei Pistenrettern herrscht zum Teil die Angst, dass man im Zuge der Erste-Hilfe-Maßnahmen etwas falsch machen und dann rechtlich belangt werden könnte. Eingehende Recherchen haben jedoch ergeben, dass in Österreich kein Fall bekannt ist, bei dem ein Ersthelfer oder ein Pistenretter wegen eines Fehlers bei der Hilfeleistung rechtlich belangt worden wäre.
In Österreich ist kein Fall bekannt, bei dem ein Ersthelfer oder ein Pistenretter wegen eines Fehlers bei der Hilfeleistung rechtlich belangt worden wäre.
Werner Senn zur Haftungsfrage bei Hilfeleistungen
Ein Rettungseinsatz aus dem Jahr 2019 am Arlberg, in dessen Folge gegen einen Retter nach einem tödlichen Lawinenabgang Ermittlungen eingeleitet wurden, verdeutlicht dies. Zwar habe der Ersthelfer „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ die tödliche Lawine ausgelöst, heißt es von der Staatsanwaltschaft. Weil er sich aber „sach- und fachgerecht“ verhalten habe, „könne ihm kein Vorwurf gemacht werden“.
Grundsätzlich kann daher davon ausgegangen werden, dass ein Ersthelfer, aber auch der Pistenretter, der die ihm bestmöglich erscheinende Hilfe leistet, keine straf- oder etwa zivilrechtlichen Folgen befürchten muss.
Nur wer keine Erste Hilfe leistet, macht sich strafbar.
Daher kann mit ruhigem Gewissen behauptet werden: Nur wer keine Erste Hilfe leistet, obgleich sie notwendig wäre, macht sich strafbar. Die Angst, etwas falsch zu machen, ist unbegründet.
Kommt es aber dennoch zu Köperschäden von Verunglückten wegen einer mangelhaften oder möglicherweise nicht erfolgten Hilfeleistung, wird in der Regel das Seilbahnunternehmen zu Haftung herangezogen werden. Dabei werden die juristischen Parameter einer Schadenersatzforderung geprüft, dies sind primär die Bereiche Schaden, Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden. Die Liftbetreiber decken diese Risiken mit einer umfangreichen Haftpflichtversicherung ab.
Wenngleich man das Gefühl hat, dass rechtliche Auseinandersetzungen im allgemeinen Pistenbetrieb zunehmen, so kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die österreichische Rechtsprechung auf die besonderen Gegebenheiten im winterlichen Unfallgeschehen sachgerecht reagiert und wir noch keine „amerikanischen Verhältnisse“ haben.
Mag. Werner Senn, Juli 2019
Georg Fritsch, Hannes Hösl
Handbuch für Pistenretter
Die Organisation der Pistenrettung im gesicherten Schiraum
ISBN 978-3-99052-201-1
2. Auflage November 2019
88 Seiten, EUR 29,90
Verlagshaus der Ärzte