Mit der Klärung der Ursachen und der rechtlichen Wertung eines Skiunfalls wird nicht nur ein Beitrag zu Recht und Ordnung im konkreten Fall geleistet, sondern auch ein Beitrag zur Verhütung künftiger Skiunfälle. Eine rechtliche Betrachtung dieser Problematik liefert der Beitrag von Werner Senn.
Mag. Werner Senn
Jurist
Gerichtlich beeideter und zertifizierter Sachverständiger für Ski- und Snowboardunfälle
Ehem. Leiter der Abteilung II/7 Flugpolizei im BM.I
Polizeibergführer
Skirecht
Skirecht ist ein weitgefächerter Sammelbegriff für alle rechtlichen Beziehungen, die mit dem Skilauf in Zusammenhang stehen. Eine spezielle skirechtliche Norm gibt es nicht – mit Ausnahme einzelner Gemeindepistenverordnungen. Skirecht bedeutet vor allem die sachgerechte Anwendung der allgemeinen Normen des Straf-, Zivil- und Verwaltungsrechts. Mit der Klärung der Ursachen und der rechtlichen Wertung eines Skiunfalles wird nicht nur ein Beitrag zu Recht und Ordnung im konkreten Fall geleistet, sondern auch ein Beitrag zur Verhütung künftiger Skiunfälle.
Nirgendwo auf der Welt wurde der Skilauf bisher umfassend gesetzlich geregelt. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass einerseits zwischen dem Wunsch nach Freiheit und andererseits der Notwendigkeit einer gewissen Ordnung nun mal ein Spannungsverhältnis besteht.
Die Problematik des Skirechts ist sehr vielschichtig und durch Gesetze nur schwer in den Griff zu bekommen, Skilauf soll ja auch nicht zweckentfremdet werden und das freie genussvolle Gleiten über Pisten und Schneehänge soll ja nicht einem geregelten Verkehrsgeschehen weichen. Ich persönlich würde jedoch dafür eintreten, dass für ganz spezielle Bereiche im Skisport ein gesetzlicher Rahmen geschaffen wird, der zum Beispiel das Befahren von gesperrten Pisten (z.B wegen Lawinengefahr) unter Strafe stellt und dieses Verhalten behördlich sanktioniert werden kann. Dies ist derzeit nur dort möglich wo eine gesetzliche Grundlage besteht, wie zB. im Vorarlberger Sportgesetz oder in der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde St. Anton. Auf die juristische und verfassungsrechtliche Problematik, die hinter den angeführten Normen steckt, soll in diesem Beitrag nicht näher eingegangen werden.
Skiunfälle: Die Wahrheitsfrage
Ohne Wahrheit gibt es keine Gerechtigkeit – und was ist Wahrheit? Diese große Frage ohne Antwort stellte sich auch schon der römische Statthalter Pontius Pilatus vor 2000 Jahren. Beim Skiunfall geht es natürlich um Fakten und nicht philosophischen Fragestellungen und jedes Erhebungsorgan und jeder Sachverständiger weiß, dass es beim Skiunfall besonders schwierig ist die Wahrheit zu finden.
Objektive Spuren
Objektive Spuren sind meist kaum vorhanden bzw. zum Erhebungszeitpunkt nicht mehr erkennbar. Blutspuren markieren meist die Endlage des Verletzten, sagen aber nichts über den Kollisionspunkt aus. Für die rechtliche Beurteilung kommt es auf das reale Annäherungssystem der Beteiligten an. Speziell in Pistensicherungsfällen spielt der Unfallort (Bezugspunkte) eine wesentliche Rolle. Die Endlage ist von zahlreichen Einflussfaktoren abhängig (Art der Kollision, Sturz- und Rutschverhalten, Verhaken der Ski und Stöcke, Verlust der Ski, Neigung der Rutschstrecke, Schneequalität, Kleidung etc.). Die Auswertung von Beschädigungsspuren am Skigerät kann manchmal zur Klärung des Unfallherganges beitragen.
Verletzungen
Aus der Art und Lage der Verletzungen kann gelegentlich die Art des Primäranstoßes geklärt werden, Verletzungen können aber auch durch Sturzaufprall eintreten. Die Schwere der Verletzung eines Beteiligten lässt nicht automatisch den Schluss zu, dass der langsamere, voranfahrende der Leidtragende der schwereren Verletzung war.
Zur Einschätzung eigener und fremder Bewegungen
Das Bewegungsgeschehen auf Skipisten ist äußerst dynamisch, wechselvoll, weitgehend regellos und an keine starre Fahrordnung gebunden.
Zur Fahrgeschwindigkeit
Die eigene Fahrgeschwindigkeit zu schätzen ist überaus schwierig. Mittels eines Lasermessgerätes wurde im Herbst 2000 am Kaunertaler Gletscher die Geschwindigkeit von mehreren Skiläufern gemessen. Die Skiläufer wurden im Anschluss der Messung befragt, ob sie ihre gefahrene Geschwindigkeit einschätzen können. Nur einer geringen Anzahl der Skisportler gelang es trotz einer Schätzungstoleranz von +/- 10% ihre gefahrene Geschwindigkeit zu schätzen.
Die nicht angepasste Geschwindigkeit (FIS-Regel Nr. 2) ist neben Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsfehlern die häufigste Ursache von Skiunfällen. Unkontrolliert fährt, wer seine Fahrgeschwindigkeit nicht den subjektiven Bedingungen (Fahrkönnen physisch/psychisch) und objektiven Bedingungen (Gelände, Schnee, Sicht, Hindernisse, Pistenfrequenz, neuralgischen Pistenbereichen) anpasst. Wichtige Vorrangregel zwischen vorderem/langsamerem und hinterem/schnellerem Skifahrer
- wichtig für Schuld ist der Bewegungsvorgang vor dem Zusammenprall
- das Verhalten der letzten Sekunden vor dem Unfall
Anhalteweg
Alleine die große Streuung im subjektiven und objektiven Feld zeigt, dass es im Skilauf keine allgemeinen Standards für Bremsverzögerungswerte gibt.
Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsfehler
Acht von zehn Skifahrern sehen den Anderen überhaupt nicht. Das Blickfeld ist infolge der Konzentration eingeengt – je größer die Geschwindigkeit, desto kleiner das Sichtfeld (Temposcheuklappen).
Sturzkollision
Wird durch Sturz ein anderer, vorne befindlicher Skifahrer verletzt, ist ein solches Verhalten objektiv pistenregelwidrig und der erste Anschein spricht für ein Verschulden des Schädigers. In der Praxis > Bindung aufgegangen, Ausweichen, Eisplatte etc.
Losfahren und Einfahren in die Piste
Der sich in den Fließverkehr einfahrende Pistenbenützer hat Nachrang gegenüber den Abfahrenden. Dieser Nachrang schlägt jedoch in einem Vorrang um, sobald der Losfahrende sich in den Fließverkehr eingeschaltet hat (ca 4 sec).
Queren der Piste
Darunter versteht man das geradlinige Fahren über die ganze oder einen größeren Teil der Piste mit geringem Höhenverlust (ca 15 Grad zur Pistenhorizontalen).
Konfliktsituationen auf der Piste
Mit der Entwicklung des Skilaufs zum Massensport häufen sich naturgemäß die Konfliktsituationen unter den Skifahrern, dies wird noch verstärkt durch die Verwendung unterschiedlicher Sportgeräte, wie Snowboards, Carver, Extremcarver, Funcarver, Big-Foots, etc.
Eigenverantwortung
Im Trubel des Massenskilaufs ist das Bewusstsein der Eigenverantwortung weitgehend verlorengegangen. Einerseits gibt es eine zunehmende Sucht nach Abenteuer und Nervenkitzel – der Mensch erobert sich die Elemente der Natur und setzt sich gleichzeitig ihren Gefahren auf äußerste aus, nach dem Motto “no risk no fun”. Anderseits: Wenn etwas passiert, kommt es sehr schnell zu Schuldzuweisungen und zur Flucht vor Verantwortung.
ASI-Tirol Skisimulation für Skiunfälle
Weil objektive Spuren meist nicht vorhanden sind, wird mit der ASI-Skisimulation versucht Skiunfälle bzw. Unfallsituationen optisch darzustellen. Das System hat sich bewährt, weil sich gezeigt hat, dass es den Beteiligten leichter möglich ist Unfallsituationen zu zeichnen als verbal zu beschreiben.
Mag. Werner Senn, 2003
Grundlagenliteratur:
- Handbuch des Österreichischen Skirechts
Dr. Josef Pichler und Dr. Wolfgang Holzer
Wirtschaftsverlag Dr. Anton Orac, Wien 1987 - Ratgeber Skirecht
Mag. Werner Senn
ASI-Tirol, Landeck 2003